Der lange Weg zur weiterführenden Schule

Endlich ist es soweit – in Berlin haben die Sommerferien begonnen! Gestern hat meine Tochter ihr Abschlusszeugnis der 6. Klasse bekommen. Ein ganz besonderer Moment, denn nun beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt: der Wechsel auf eine weiterführende Schule.

Doch der Weg dahin war lang, nervenaufreibend – und ehrlich gesagt auch ziemlich frustrierend.

Schon im Endjahreszeugnis der 5. Klasse war klar: Die Noten entscheiden, ob ein Kind auf eine der Wunschschulen kommt. Deshalb haben wir in den Wintermonaten so viele „Tage der offenen Tür“ an weiterführenden Schulen wie möglich besucht – zumindest bei denen, die für meine Tochter in Frage kamen.

Beim Beurteilungsgespräch mit der Klassenlehrerin im November 2024 wurde meiner Tochter eine gymnasiale Empfehlung ausgesprochen – alle Türen stünden ihr offen, hieß es. Klingt gut, oder? Leider wurde bei diesem Gespräch kaum auf konkrete Noten eingegangen. Stattdessen schien es eher darum zu gehen, das Gespräch schnell „abzuhaken“.

Dann kamen die Halbjahreszeugnisse – und ich war überrascht, um nicht zu sagen irritiert. In zwei Fächern, genau jenen, die meine Tochter bei ihrer Klassenlehrerin hatte, bekam sie eine 3. Dabei hatte sie durchgehend fleißig gelernt. Und natürlich handelte es sich dabei um Hauptfächer – also genau die auf die es besonders ankommt, denn sie fließen doppelt in den Notendurchschnitt ein.

In Berlin zählt auch das Halbjahreszeugnis zur Bewertung für die Schulwahl – es geht in die Durchschnittsnote ein, mit der man sich bewirbt. Mit einem Durchschnitt von 1,9 lag meine Tochter eigentlich super. Aber eben nicht gut genug für ihre Wunschschule: eine ISS (Integrierte Sekundarschule), die nur Schüler:innen mit einem Schnitt von 1,6 oder besser aufnahm.

Falls du dich fragst: „ISS – was soll das sein?“ – genau das habe ich mich auch gefragt. Eine ISS ist eine integrierte Sekundarschule, also ein Schultyp, der Hauptschule, Realschule und Gesamtschule zusammenführt. In Berlin ersetzt sie die klassischen Schulformen unterhalb des Gymnasiums.

Klingt erstmal flexibel – aber die Realität sieht leider oft anders aus.

Natürlich wollte ich die Noten mit der Lehrerin besprechen – sie wirkten auf mich einfach nicht stimmig. Schnell zeigte sich aber, dass es wohl weniger um mein Kind ging … sondern um mich.

Ich war zu dem Zeitpunkt noch Elternvertreterin und hatte – natürlich sachlich – Kritikpunkte mit Lehrkräften besprochen. Offenbar kam das nicht gut an. Und so war meine Tochter wohl „leicht greifbar“ für eine kleine Retourkutsche. Direkt ausgesprochen wurde das natürlich nicht. Aber nachdem mir die Lehrerin die Mitarbeitsnoten in Mathe geschickt hatte – die für mich absolut nicht nachvollziehbar waren – war mir alles klar. Diese Noten standen übrigens schon beim Beurteilungsgespräch im November fest. Erwähnt hat die Lehrerin sie damals nicht.

Ich wendete mich an die Schulleitung – leider erfolglos. Kurz darauf trat ich als Elternvertreterin zurück und was soll ich sagen. Das Zeugnis was meine Tochter gestern erhalten hat, war – natürlich besser!

Meine Tochter bewarb sich – wie es in Berlin üblich ist – an drei weiterführenden Schulen. Am 11. März 2025 reichten wir den Anmeldebogen bei ihrer 1. Wunschschule ein. Und dann? Warten. Fast vier Monate lang. Die Entscheidung kam am 2. Juli 2025.

Diese Zeit war nervenaufreibend – für mich sogar mehr als für meine Tochter. Ich wusste, was es bedeuten würde, wenn keine der Wunschschulen klappt: eine Schule außerhalb unseres Bezirks, vielleicht sogar eine Brennpunktschule.

Als wir den Brief öffneten, war schnell klar: Die Erstwunschschule hatte nicht geklappt. Es folgten mehrere Seiten Erklärungen. Der diesjährige Aufnahmeschnitt lag bei 1,4 – für die ISS an die meine Tochter wollte! Unfassbar. Ich weiß, dass diese Schule ein tolles, breit gefächertes Angebot hat und nicht überlaufen ist, aber 1,4 für eine Realschule? Das macht mich sprachlos.

Was passiert mit den Kindern, die keine gymnasiale Empfehlung erhalten und eine ISS benötigen – etwa mit einem Schnitt von 2,3? Diese werden dann einfach irgendwohin verteilt.

Zwar wird bei der Schulvergabe angeblich auch der Fahrtweg berücksichtigt, aber praktisch heißt das oft: lange Fahrzeiten mit Bus und Bahn, mit mehreren Umstiegen – völlig ohne Rücksicht darauf, was im Alltag passiert, etwa bei Streiks, Ausfällen oder Verspätungen. Wer fragt, ob sie morgens überhaupt rechtzeitig ankommen oder nachmittags sicher nach Hause kommen?

Ob jemand prüft, was zu diesen Noten geführt hat? Oder ob ein Kind emotional und organisatorisch mit der Situation zurechtkommt? Wohl kaum.

Meine Tochter bekam schließlich einen Platz an ihrer Zweitwunschschule – einem Gymnasium! Und sie ist überglücklich. Stolz läuft sie durch die Gegend und sagt: „Ich bin jetzt Gymnasiastin!“

Das Schönste: Ihre beste Freundin wurde ebenfalls angenommen – und die beiden sind sogar in derselben Klasse. Ein echter Glücksfall. Für sie ist ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen.

Viele Berliner Kinder haben dieses Glück jedoch nicht. Ihre Eltern haben – im besten Fall – Widerspruch eingelegt und warten immer noch. Oder sie wurden Schulen zugewiesen, die weit entfernt liegen und nicht zu den Bedürfnissen der Kinder passen.

Mein Appell an die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

Vielleicht ist es an der Zeit, die ganze Struktur zu überdenken. In anderen Bundesländern funktioniert es doch auch. Die Kriterien für die Aufnahme an ISS und Gymnasien müssen dringend angepasst werden.

Mein Vorschlag:

  • Bewerbungen an ISS ab einem Notendurchschnitt von 2,0
  • Gymnasien: für alle mit einem besseren Schnitt und/oder gymnasialer Empfehlung

Und dabei bitte nicht nur die Noten im Blick behalten – sondern auch den Bezirk, die Erreichbarkeit und das soziale Umfeld. Denn Schule ist mehr als nur Leistung.


Wenn dir unser Weg bekannt vorkommt oder du gerade selbst mit deinem Kind mittendrin steckst – du bist nicht allein. Schreib mir gern in die Kommentare, wie ihr die Schulplatzvergabe erlebt habt.

Eure Stephanie